Hier soll man Beiträge aus dem Tagesgeschehen finden, die Verbindung zum Hauptthema dieses Blogs haben.
W.Callahan-untersucht-Tianxia.html
Es folgt der Beitrag aus der Ausgabe des Berliner "Tagesspiegel"
vom
20.01.2020 von Gregor Dotzauer
über das Buch des renomierten chinesischen
Philosophen Zhao
Tingyang
"Alles unter dem Himmel - Vergangenheit und Zukunft der
Weltordnung"
Ich beabsichtige, die Durcharbeitung des Buches von Zeit
zu Zeit mit den Interessenten dieses Blogs zu teilen,
weil ich eine reale
Chance sehe, die Sicht des Autors auf eine künftige Weltordnung aus chinesischer
Perspektive
in die sich hier zu entwickelnde Zielsetzung zu integrieren.
Die hier im Beitrag erwähnten Beispiele der Schriften von
westlichen politik-philosophischen Denkern
finden Sie später in der Rubrik
"Materialien.
Moderne politische Philosophie in China – Was die neue „Tianxia“
für Europa bedeuten könnte.
Patentrezept für Frieden oder Feigenblatt des autoritären China?
Der
einflussreiche " Denker Zhao Tingyang entwickelt eine Theorie,
die zu beidem
taugt. Jetzt erscheint sie auf Deutsch.
Der Philosoph Zhao
Tingyang, 1961 in der südchinesischen Provinz Guangdong geboren,
dürfte
heute der international einflussreichste Intellektuelle der Volksrepublik sein.
Mit seiner Tianxia-Theorie einer friedlichen neuen Weltordnung, die ein
rund tausend Jahre altes Konzept
aus der Zhou-Dynastie wiederbelebt,
entwirft Zhao eine Alternative zum liberal geprägten Universalismus des Westens.
Sie enthält für Zhao die Einladung an eine übernationale Weltgemeinschaft,
wechselseitige Beziehungen
zu schaffen, deren geteilter Nutzen den Nutzen
der einzelnen Teile übertrifft.
die dem Staatsrat der Volksrepublik untersteht. Sie
ist die bedeutendste Denkfabrik des Landes mit rund 3200
akademischen
Mitgliedern.
Was geht uns das eigentlich
an?
Gegenfrage: Wie könnte es uns nichts angehen, wenn
zwei Jahrhunderte
nach Immanuel Kants moralphilosophischer Schrift „Zum
ewigen Frieden" (1795), auf deren Grundideen
die Charta der Vereinten
Nationen beruht, aus Peking ein zeitgenössisches Gegenkonzept kommt?
Nach
wie vor wissen die Deutschen wenig über die chinesische Denkweise, während
Intellektuelle wie Zhao
mit allen Wassern westlicher Theorie gewaschen sind.
Mit Thomas Hobbes und Carl Schmitt, Jürgen Habermas
und Samuel Huntington
knüpft er an die kanonischen Texte seiner Kultur an.
taugt sicher nicht zur philosophischen Bibel des neuen
China. Aber Zhao zu lesen hilft zu verstehen,
wie anders man Demokratie und
Menschenrechte begreifen kann, Selbstgewissheiten infrage zu stellen und
Chinas diktatorische Anwandlungen fundiert zu kritisieren.
Worum geht es?
Zhao geht von dem Gedanken aus, dass Nationalstaaten
im Zeitalter globaler Probleme ausgedient haben
(siehe Auszug rechts). Er
will deshalb das Konzept des Tianxia wiederbeleben: Die Welt wird zur
(politischen) Einheit.
Darin sieht Zhao ein Mittel gegen den „Imperialismus"
und ein hohes Maß an kultureller ~ Toleranz.
Den von der westlichen
Philosophie entwickelten Vorrang des Individuums vor der Gemeinschaft lehnt er
letztlich ab.
Aus seiner Sicht geht die Gemeinschaft dem Einzelnen voraus.
Handelt es sich bei Zhao Tingyangs Tianxia-Konzept nicht um reine Ideologie?
So
einfach darf man es sich nicht machen. Zhao selbst ist ein ernsthafter Denker,
dem man keine eilfertige Dienstbarkeit
unterstellen sollte. Zugleich hätte
er ohne den Segen des Regimes nie seine heutige Prominenz erlangt, wobei er
seine Theorie
zuerst schon 2005, während der Amtszeit von Hu Jintao
vorstellte. Damals gab es noch Hoffnung auf einen
zivilgesellschaftlichen
Aufbruch. Zwei Dinge sind also auseinanderzuhalten, die man auf einer anderen
Ebene nicht trennen kann.
Das eine sind die internen Fragwürdigkeiten einer
Theorie, die sich nicht durchgängig in westlichen Begriffen rekonstruieren
lässt.
Darüber lässt Zhao mit sich reden.
Wo ist der Haken?
Gewinnen und Verlieren, das heute
internationale Konflikte antreibt. Allerdings ist eine globale Win-Win-Welt
spieltheoretisch unwahrscheinlich. Auch stehen der Befriedigung aller Interessen
fundamentale kulturelle Differenzen
im Weg. Die griechische Polis als
Ursprung europäischer Politik und das seit jeher aufs Weltpolitische angelegte
Konzept
des Tianxia mag man noch zusammendenken können. Bei den politischen
Theologien, die Zhao, wie auch immer
heruntersäkularisiert (im Westen) oder
nichttranszendent (im Osten), gegeneinander in Anschlag bringt, wird es deutlich
komplizierter.
verstehenden chinesischen Größen wie dem Himmel, mit einer bestimmten
Vorstellung von Natur wie auch von Familie.
Zhao Tingyang verweist etwa
darauf, dass im antiken China das „Dao der Natur" den Stellenwert einer
göttlichen Instanz besaß:
Einssein mit der Natur hieß, so schreibt Zhao, in
Übereinstimmung mit dem Himmel zu sein. Die Ordnung von Himmel und Erde
wurde außerdem im ,Haus', das heißt in der Familie, gespiegelt. Die Ordnung von
Tianxia, Staat und Familie bildete einen Kreislauf
von Abbildern, der
politisch-theologische Bedeutung gewann. Will der Einzelne seine Situation
verbessern, kann er das nicht
aus sich heraus, sondern indem er die
Gemeinschaft, das Himmelsabbild, verbessert beziehungsweise dessen Ordnung
wiederherstellt.
Tianxia: zwei Zeichen, die seit jeher die ganze Welt bedeuten
Steckt darin nicht ein logisches Problem?
Es ist ein Zirkelschluss, und zwar einer, der Chinas hierarchischem Denken von
alters her zugrunde liegt. Zhao formuliert nicht
ohne Grund seine Skepsis
gegenüber einem Gleichheitsbegriff, wie ihn der liberale
Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls entfaltet hat.
Mit dem Daoisten Laozi
plädiert er lieber für den Grundsatz eines sogenannten ontologischen
Gleichgewichts. Er versteht darunter nicht
„Fürsorge für die Schwachen" im
europäischen Sinn, sondern „Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit aller Menschen
und des wechselseitigen
Nutzens". Dieses Prinzip lässt sich auch repressiv
auslegen - im Sinne jener in China fortwährend gepredigten gesellschaftlichen
Harmonie,
die jedem einen Platz im Gefüge zuweist, den er gefälligst nicht
zu verlassen hat.
Welche praktischen Konsequenzen hätte das für eine künftige
Weltgemeinschaft?
Über westliche Selbstverständlichkeiten wie
die Idee der Menschenrechte müsste völlig neu verhandelt werden.
,,Theoretisch“, so Zhao, ,,gehören Menschenrechte in der Tat zu den universellen
Prinzipien, die das Nationalstaatensystem außer Kraft setzen.
Aber sie
werden dazu benutzt, die spezifischen Interessen der USA zu schützen. Dazu
gehört die hegemoniale Kunstfertigkeit,
etwas Allgemeines in etwas
Besonderes umzuwandeln, d.h. „die USA besitzen die privilegierte Deutungsmacht
in Bezug auf universelle Werte.“ Das lässt sich nicht ganz von der Hand
weisen, funktioniert aber auch als Einwand gegen das Tianxia-System.
An
anderer Stelle hat sich Zhao, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum
geht, den „Imperialismus“ der USA zu geißeln, denn auch
gegen natürliche
Menschenrechte ausgesprochen. Sie sollten nur im Rahmen eines Kreditmodus zur
Verfügung stehen.
Zhao hegt auch Vorbehalte gegen die westliche Demokratie. Er sieht sie zur „Publikratie"
verkommen. Diese lässt zwar dem Volk seine Wählerstimme,
bringt aber nur
wechselnde Meinungsmehrheiten von hoher Manipulationsanfälligkeit hervor. Um der
„Volksseele" gerecht zu werden, schwebt
ihm die zusätzliche Herrschaft von
Experten vor, die aufgrund ihres Spezialwissens die richtigen Empfehlungen
geben. Seltsamerweise verbindet
sich diese Kritik an der Publikratie mit
einer Philippika gegen hochtechnologische Steuerungssysteme, die Meinungen
global kontrollieren.
„Der moderne Mensch“, schreibt er, ,,stürzte durch die
Entwicklung des Marktes und der Demokratie die Diktaturen, doch produzieren die
voll entfalteten Märkte und Demokratien eine Diktatur neuen Stils.“ Es wäre
absurd, diesen Satz nicht auch auf das Land mit dem größten Intranet
der
Welt anzuwenden.
Intellektuelle wie Zhao sind mit allen Wassern westlicher Theorie gewaschen. Mit
Thomas Hobbes und Carl Schmitt, Jürgen Habermas und
Samuel Huntington knüpft
Zhao an die kanonischen Texte seiner Kultur an.