Hier geht es vorrangig um weiterführende oder vertiefende Literatur zu den "Aufsätzen".
30.April.2020
Erster Vortrag von Günter Funke: "WERT-volle Bildung"
https://www.youtube.com/watch?v=58Knpc1_7Xg
https://www.youtube.com/watch?v=NvZU0jIPj_c&feature=youtu.be
05.April 2020
Hier werden heute einige Quellen und Texte eingestellt, die das Vorhaben,
die Blog-Leser an der Durcharbeitung des Buches von
Zhao Tingyang: Alles
unter dem Himmel
(»Tianxia«
(天下))
zu beteiligen,
unterstützen
können.
Diese Sammlung bietet zudem Gelegenheit, alt Gewusstes
aufzufrischen oder zu
ergänzen.
Das Buch ist über den Buchhandel unter ISBN 9783518298824
Kartoniert, 266 Seiten, 22,00 EUR beziehbar.
Inhalt
Anmerkung des Übersetzers
Vorwort
Einführung Die Neudefinition des
Politischen
durch das Tianxia
1. Die Welt als
politisches Subjekt
2. Die schlechteste und die beste
aller
möglichen Welten
3. Entitäten des Politischen
4. Die Inklusion der Welt und
die Souveränität
der Welt
5. Relationale Rationalität
6. Ein neuer Ausgangspunkt des
Politischen
1. Kapitel Die Geschichte des Tianxia-Konzepts
1. Die Welt als Ausgangspunkt der Politik
2. Die dreifach
geschichtete Welt des Tianxia
3. Übereinstimmung mit dem
Himmel
4. Die Institutionen des Tianxia-Systems
5. Allumfassenheit
6. Der Isomorphismus von Sippe und
Tianxia
7. Das Mandat des Himmels
8.
Tugend und Kompatibilität
9. Warum können gute Ordnungen
zusammenbrechen?
10. Das Tianxia als Methodologie
2.
Kapitel Das in China verborgene Tianxia
1. Das
Mahlstrom-Modell
2. Die Miniaturausgabe des Tianxia
3. Der Kampf um die Herrschaft über die
Zentralebene: Die »Jagd auf den Hirschen«
4. Sein durch
Veränderung
3. Kapitel Gegenwart und Zukunft des Tianxia
1. Die Weltgeschichte hat noch nicht begonnen
2. Die Frage
Kants und die Frage Huntingtons
3. Zwei Arten der
Externalität: die natürliche
und
die konstruierte
4. Grenzen und Allumfassenheit
5. Die materiellen Voraussetzungen eines neuen
Tianxia
6. Ein Wörterbuch des neuen Tianxia
Anmerkungen
Namenregister
Klassiker des Politischen Denkens
In
diesem Standardwerk -Erstausgabe 1968 – ist die politische Philosophie
folgender Denker beschrieben:
Plato
John Locke
Aristoteles
Pufendorf
Cicero
Montesquieu
Augustin
>The Federalist<
Thomas v. Aquin
Rousseau
Dante
Sieyes
Marsilius v. Padua
Burke
Machiavelli
Kant
Thomas Morus
Hegel
Martin Luther
de Tocqueville
Vitoria
J.St. Mill
Grotius
Comte
Bodin
Marx
Hobbes
Nietzsche
Max Weber
Im
Buchhandel beziehbar unter ISBN
978-3-406-56842-8 und 978-3-406-56843-5
Moderne politische Denker
1. J. Habermas:
Mit seinem zweibändigen Hauptwerk
von 1981, „Theorie des kommunikativen Handelns“
(TKH), hat Habermas (H.)
eine originäre soziologische
Handlungstheorie
vorgelegt und
zugleich eine zweistufige
Gesellschaftstheorie (System und
Lebenswelt) konzipiert, die
später in „Faktizität und Geltung“ (FG) (1992)
weitergeführt wird. Als dritten Themenkomplex
avisiert das Vorwort eine
Theorie
der Moderne, die im „Philosophischen
Diskurs der Moderne“
(PDM) (1985) ihre theoriegeschichtliche Fundierung
findet.
Die TKH markiert die sprach- bzw.
kommunikationstheoretische Wende der
Kritischen
Theorie,
die mit der These, daß in der
Sprache die Potentialität von Vernünftigkeit und Versöhnung
eingelassen sei,
eine normative Grundlage erhält. „Die utopische Perspektive von Versöhnung
und Freiheit ist in den Bedingungen einer kommunikativen Vergesellschaftung der
Individuen
angelegt, sie ist in den sprachlichen Reproduktionsmechanismen
der Gattung schon eingebaut.“
(TKH1: 533) Hierin gründet schließlich die
Idee der „idealen Sprechsituation“ als eines
prozeduralen Strukturmodells
„herrschaftsfreier Kommunikation“.
Die kommunikationstheoretische
Zäsur, die das Ende der „Subjektphilosophie“ für die
Gesellschaftstheorie
bedeutet, kennzeichnet H. wie folgt: „Wenn wir davon ausgehen, daß sich
die
Menschengattung über die gesellschaftlich koordinierten Tätigkeiten ihrer
Mitglieder erhält,
und daß diese Koordinierung durch Kommunikation, und in
zentralen Bereichen durch eine auf
Einverständnis zielende Kommunikation
hergestellt werden muß , erfordert die Reproduktion der
Gattung eben
auch
die Erfüllung der Bedingungen einer dem kommunikativen Handeln
innewohnenden
Rationalität.“ (TKH1: 532 – Hervorh. i.O.)
Wie immer greift H.
theoriegeschichtlich weit aus, um
Handlungsrationalität und gesellschaftliche
Rationalisierung (so der Untertitel des 1.
Bandes)
philosophisch und soziologisch zu begründen. Seine
theoriegeschichtlichen Rekonstruktionen
werden von systematischen
Explikationen in kapitellangen „Zwischenbetrachtungen“
unterbrochen.
Besonders in Kap. I und III finden wir die grundlegenden Ideen der TKH.
Ausgangspunkte sind der Webersche Rationalitätsbegriff und das bis auf
Aristoteles zurückgehende
teleologische Handlungsmodell. In beiden sieht H.
theoretische Beschränkungen: einmal die
Verengung auf instrumentelle
Rationalität, die durch kommunikative Rationalität zu ergänzen sei;
ein
andermal die Konzentration auf zweckrationales und zudem monologisch
konzipiertes Handeln,
dem das kommunikative Handeln als ein von vornherein
interaktives Handlungsmodell gegenüber
gestellt wird. H. fundiert seine
Handlungstheorie mit der Theorie der Sprechakte (Austin, Searle),
ohne indes
Kommunikation mit Handeln gleichzusetzen. Der für die Gesellschaftstheorie
wichtige
Begriff der Lebenswelt wird als Komplementärbegriff des
kommunikativen Handelns verstanden.
Kapitel I der TKH elaboriert das Konzept der
„kommunikativen Rationalität“ an vier in der Literatur
vorfindbaren
Handlungsbegriffen: an dem bereits von Aristoteles begründeten „teleologischen“,
dem durch Durkheim und Parsons eingeführten „normativen“, dem von Goffman
explizierten
„dramaturgischen“ und dem von Mead stammenden „kommunikativen“
Handlungsbegriff.
Seinen eigenen Begriff des „kommunikativen Handelns“ führt
H. an dieser Stelle erst „provisorisch“
ein (TKH1: 143). In der
Sekundärliteratur (z.B. Reese-Schäfer 1991) wird diese Darstellung
irrtümlicherweise als die eigentliche H.sche Handlungstypologie rekonstruiert,
obwohl sie erst
in der „Ersten Zwischenbetrachtung“ (Kap. III) systematisch
expliziert wird.
Kommunikative Rationalität
ist für H. eine „Disposition sprach- und
handlungsfähiger Subjekte“
(TKH1: 44), d.h. zurechnungsfähige Personen
können sich sprachlich verständigen, indem sie sich
an intersubjektiv
anerkannten Geltungsansprüchen orientieren. Sein zentrales theoretisches
Postulat
lautet: „Wir verstehen einen Sprechakt nur, wenn wir wissen, was
ihn akzeptabel macht.“
(TKH1: 168 u. 400). Rational sind nicht nur
konstative
Sprechhandlungen
(Behauptungen über Tatsachen), sondern auch
normenregulierte Handlungen und
expressive
Äußerungen. Sie unterscheiden sich durch jeweils andere Geltungsansprüche
und andere Weltbezüge (s.w.u.).
Die im dritten Kapitel entwickelte Handlungstypologie
knüpft an die Webersche Unterscheidung
zwischen „einer Handlungskoordination
durch Interessenlage und normatives Einverständnis“
(TKH1: 384) an. H.
unterscheidet zunächst zwischen instrumentellem, strategischem und
kommunikativem Handeln (vgl. Schaubild 1) und definiert diese wie folgt:
Handlungs-
Orientierung Handlungs- Situation |
erfolgsorientiert |
verständigungsorientiert |
nicht-sozial |
instrumentelles Handeln |
--- |
sozial |
strategisches Handeln |
kommunikatives Handeln |
„Eine erfolgsorientierte Handlung
nennen wir
instrumentell,
wenn wir sie unter dem Aspekt
der Befolgung technischer Handlungsregeln
betrachten und den Wirkungsgrad einer
Intervention in einen Zusammenhang von
Zuständen und Ereignissen bewerten;
strategisch
nennen wir eine erfolgsorientierte Handlung, wenn wir sie unter dem Aspekt der
Befolgung von Regeln rationaler Wahl betrachten und den Wirkungsgrad der
Einflußnahme
auf die Entscheidungen eines rationalen Gegenspielers bewerten.
Hingegen spreche ich
von
kommunikativen
Handlungen, wenn die Handlungspläne der beteiligten Aktoren
nicht über
egozentrische Erfolgskalküle, sondern
über Akte der Verständigung koordiniert
werden.“
(TKH1: 385 – Hervorh. i. O.)
Nur strategisches und
kommunikatives Handeln wird als soziales Handeln identifiziert;
beide Formen
sind sprachvermittelt – allerdings auf charakteristisch verschiedenartige Weise.
Strategisches Handeln ist
erfolgsorientiert; Sprechakte dienen hierbei als bloßes Mittel zur
Zweck-
bzw. Zielerreichung.
Kommunikatives
Handeln ist verständigungsorientiert; Sprechakte
dienen der Erzeugung eines
Einverständnisses auf der Grundlage kritisierbarer Geltungsansprüche.
Dabei
wird kommunikatives Handeln nicht mit sprachlicher Verständigung gleichgesetzt:
„Sprache ist ein Kommunikationsmedium, das der Verständigung dient, während
Aktoren,
indem sie sich verständigen, um ihre Handlungen zu koordinieren,
jeweils bestimmte Ziele verfolgen.“ (TKH1: 158)
Der für die TKH zentrale Gedanke
zielt auf unterschiedliche Formen der
Handlungskoordination.
Deren
Unterscheidung wird auf dem Wege der Analyse von Sprechhandlungen vorgenommen.
H. übernimmt die von Austin (1962) eingeführte Differenzierung zwischen
lokutionärem Akt,
mit dem etwas ausgesagt
wird,
illokutionärem Akt, mit dem eine Handlung
vollzogen wird,
und
perlokutionärem
Akt, mit dem der Sprecher beim Hörer eine Reaktion erzielt (vgl. TKH1: 388f.).
Für die TKH ist insbesondere der illokutionäre Akt („handeln, indem man etwas
sagt“) bedeutsam;
Die Sprechhandlung wird vollzogen mit der Absicht, daß der
Hörer die Äußerung verstehen und
akzeptieren möge. Illokutionäre Sprechakte
haben die Form von
Behauptung, Versprechen, Gruß, Befehl, Ermahnung, Erklärung
etc.
Im perlokutionären Akt hingegen instrumentalisiert der Sprecher
Sprechhandlungen für
Ziele (Intentionen), die mit der Bedeutung des Gesagten nur
in einem kontingenten
Zusammenhang stehen. Pointierter noch: „Perlokutionäre
Ziele darf ein Sprecher, wenn er
Erfolg haben will, nicht zu erkennen geben,
während illokutionäre Ziele allein dadurch
zu erreichen sind, daß sie
ausgesprochen werden.“ (TKH1: 393) Sprechhandlungen, i
n denen alle Beteiligte
illokutionäre Ziele und nur diese verfolgen, nennt H. kommunikatives Handeln;
Interaktionen, in denen mindestens einer der Beteiligten mit seinen
Sprechhandlungen
perlokutionäre Effekte beim Gegenüber erzielen will, bezeichnet
er als
„sprachlich vermitteltes strategisches Handeln“.
nur wenn
die im illokutionären Akt von Ego erhobenen
Geltungsansprüche akzeptiert werden,
kann
er zwischen den Beteiligten eine „koordinationswirksame interpersonale
Beziehung“,
mit einer Anschlußhandlung von Alter, herstellen. Wird der
Geltungsanspruch nicht akzeptiert,
kommt es zur „Metakommunikation“ bzw. zum
Diskurs (s.w.u.).
Geltungsansprüchen
unterschieden:
die (propositionelle)
Wahrheit,
die (normative)
Richtigkeit und
die
(subjektive)
Wahrhaftigkeit.
m konkreten Sprechakt steht zwar jeweils ein Geltungsanspruch im Vordergrund,
aber prinzipiell
werden alle drei zugleich thematisiert. Zur Veranschaulichung
zieht H. folgendes Beispiel heran:
Professor
fordert einen Seminarteilnehmer auf „Bitte bringen Sie mir ein Glas Wasser“.
Der Angesprochene kann auf dreifache Weise den erhobenen Geltungsanspruch
zurückweisen:
(1)
„Nein,
Sie können mich nicht wie einen Ihrer Angestellten behandeln.“
Hiermit bezweifelt er die normative Richtigkeit.
(2)
„Nein,
eigentlich haben Sie ja nur die Absicht, mich vor anderen Seminarteilnehmern in
ein schiefes Licht zu bringen.“
Hiermit bezweifelt er die subjektive Wahrhaftigkeit.:
(3)
„Nein, die
nächste Wasserleitung ist soweit entfernt, daß ich vor Ende der Sitzung nicht
zurück sein könnte.“
Hiermit
bezweifelt er die propositionelle Wahrheit.
Die einzelnen Geltungsansprüche
aktualisieren unterschiedliche
Weltbezüge.
„Als
Medium der Verständigung dienen Sprechakte
(a) der Herstellung und der
Erneuerung interpersonaler Bindungen, wobei der Sprecher
auf etwas in der
Welt
legitimer Ordnungen Bezug nimmt;
(b) der Darstellung oder der Voraussetzung von
Zuständen und Ereignissen, wobei der
Sprecher auf etwas in der
Welt
existierender Sachverhalte Bezug nimmt, und
(c) der Manifestation von
Erlebnissen, d.h. der Selbstrepräsentation, wobei der Sprecher
in der ihm
privilegiert zugänglichen subjektiven
Welt
Bezug nimmt.“ (TKH1: 413 – Hervorh. i. O.)
Mit den drei Weltbezügen greift H.
zwar den Gedanken der „Dreiweltentheorie“ Karl Poppers auf,
verwirft aber deren
ontologische Beschränkung auf drei Seinsregionen innerhalb einer
objektiven
Welt. Für ihn bilden „die Welten insgesamt ein in Kommunikationsprozessen
gemeinsam unterstelltes Bezugssystem“; die Aktoren verständigen sich über etwas,
das in
der objektiven, sozialen oder subjektiven Welt „statthat oder eintreten
bzw. hervorgebracht
werden kann“ (TKH1: 126). Ihnen entsprechen unterschiedliche
Wissensformen:
der objektiven Welt das empirisch-theoretische,
der sozialen Welt
das moralisch-praktische und
der subjektiven Welt das ästhetisch-praktische
Wissen.
Die unterschiedlichen Sprechakte,
Geltungsansprüche und Weltbezüge erlauben es H.,
das kommunikative Handeln in
„drei reine Typen oder Grenzfälle“ auszudifferenzieren:
Konversation,
normengeleitetes und
dramaturgisches
Handeln.
Instruktiv für ihre Differenzierungsmerkmale ist die zusammenfassende
Übersicht,
in der neben den drei Typen des kommunikativen Handelns auch das
strategische
Handeln aufgenommen wurde (vgl. Schaubild 2).
Schaubild 2: Reine Typen sprachlich vermittelter Interaktionen
Formal-
Pragmatische
Merkmale Handlungs- Typen |
Kennzeichnende Sprechakte |
Sprach- Funktionen |
Handlungs- Orientierungen |
Grund- Einstellungen |
Geltungs- Ansprüche |
Welt- bezüge |
strategisches Handeln |
Perlokutionen, Imperative |
Beeinflussung des Gegenspielers |
erfolgs- orientiert |
Objekti- Vierend |
Wahr- Heit |
objektive Welt |
Konversation |
Konstative |
Darstellung von Sachverhalten |
verständigungs- orientiert |
Objekti- vierend |
Wahr- Heit |
objektive Welt |
normenreguliertes Handeln |
Regulative |
Herstellung Interpersonaler Beziehungen |
verständigungs- orientiert |
Normen- konform |
Richtig- Keit |
soziale Welt |
dramaturgisches Handeln |
Expressive |
Selbst- Präsentation |
verständigung- orientiert |
Expressiv |
Wahrhaftig- Keit |
subjektive welt |
(Fig. 16 in TKH1: 439)
Ein teleologischer Handlungstypus
hat in dieser Systematik keinen Platz mehr. Den
Ausführungen Hs. ist zu
entnehmen, daß von einem gesonderten „teleologischen Handeln“,
etwa durch eine
Gleichsetzung mit erfolgsorientiertem Handeln, wenig Sinn macht,
da nicht nur
soziale, sondern alle menschlichen Handlungen auf Ziele gerichtet sind;
das
macht ihren intentionalen Charakter aus. An dem in der Sekundärliteratur
verbreiteten
Mißverständnis über den
teleologischen
Handlungsbegriff ist H. indessen nicht unschuldig:
einmal behandelt er ihn als
einen eigenständigen, vom kommunikativen Handeln
abzugrenzenden Typus, z.B. als
Oberbegriff für instrumentelles und strategischen Handeln
(vgl. TKH1: 447f.),
ein andermal konstatiert er, daß „die teleologische Struktur für
alle
Handlungsbegriffe fundamental (ist). Die Begriffe des
sozialen
Handelns unterscheiden sich
aber danach,
wie sie die
Koordinierung für
die zielgerichteten Handlungen (...) ansetzen
(TKH1: 150f. - Hervorh. i. O.).
Zielorientierung oder Zwecktätigkeit des Handelns kann
über zwei
unterschiedliche Modi der Handlungskoordinierung verfolgt werden: einmal über
die
„Einwirkung auf
Alter“, ein
andermal über die „Herstellung eines rational motivierten
Einverständnisses
zwischen
Ego und
Alter“
über Werte und Normen. Im ersten Fall handelt
es sich um strategisches Handeln (erfolgsorientiert),
im zweiten um kommunikatives Handeln,
bei dem die Bedingungen (verständigungsorientiert)
spezifiziert werden, unter denen
Personen
ihre Ziele
verfolgen. Beide Male wird das
teleologische Handlungsmodell
vorausgesetzt; denn es ist der übergreifendere
Handlungstypus, der alle Klassen des
menschlichen (= teleologischen) Handelns umfaßt: das (nicht-soziale) instrumentelle
ebenso wie das strategische und das
kommunikative Handeln.
Verständigung mißlingt (d.h. eine
Anschlußhandlung kommt nicht zustande), wenn die
vom Ego erhobenen
Geltungsansprüche von Alter bestritten werden; dann wird die Ebene
des
kommunikativen Handelns verlassen. Man tritt in einen
Diskurs
ein, der der
empirisch-theoretischen, moralisch-praktischen oder
ästhetisch-praktischen Erörterung
bestrittener Geltungsansprüche dient. Der
Diskurs wird zur
„Fortsetzung des verständigungsorientierten Handelns mit
anderen Mitteln“ (TKH1: 447).
Die zweistufige Gesellschaftstheorie mit den Komponenten
Lebenswelt und System hat
zum Ausgangspunkt die Dualität von symbolischer und
materieller Reproduktion der
Gesellschaft, die H. bereits in seiner früheren
Gegenüberstellung von „Arbeit“ und
„Interaktion“ thematisierte (1968). Ihr
entspricht die theoretisch folgenreiche Unterscheidung
zwischen Teilnehmer- und
Beobachterperspektive, da „die Selbsterhaltungsimperative
der Gesellschaft
(sich) nicht nur in der Teleologie der Handlungen ihrer individuellen
Mitglieder, sondern zugleich in den funktionalen Zusammenhängen aggregierter
Handlungseffekte durch(setzen)“ (TKH1: 533). Der Primat kommt der Lebenswelt zu.
Sie wird als Komplementärbegriff zum kommunikativen Handeln konzipiert; beide
Begriffe
verwendet H. als Grundkategorien einer allgemeinen
Gesellschaftstheorie.
geteilte,
kulturell überlieferte Hintergrundwissen, das ein Reservoir für sprachliche
Verständigung und kooperative Situationsdeutungen bietet (vgl. TKH2: 189).
Aktuelle
Handlungssituationen werden durch gemeinsame Situationsdefinitionen der
unmittelbar
Beteiligten aus dem lebensweltlichen Deutungsvorrat thematisch
ausgegrenzt, wenn auch
mit einem „beweglichen Horizont“ (Themen können sich
verschieben, überlagern etc.).
Nur wenn sich die Situationsdefinitionen der
Beteiligten hinreichend überlappen, ist
Verständigung möglich. Der
„kontinuierliche Vorgang von Definition und Umdefinition
bedeutet die Zuordnung
von Inhalten zu Welten“ (TKH2: 186) – zur objektiven, sozialen
und subjektiven
Welt. Die Kategorie der Lebenswelt hat einen anderen logischen Status
als die
formalen Weltbegriffe. Diese bilden „ein Bezugssystem für das,
worüber
Verständigung
möglich ist“, während die Lebenswelt „für Verständigung
als solche
konstitutiv ist“
(TKH2: 192 – Hervorh. i. O.),
der Lebenswelt ist ein mehrdimensionales. Es
überschreitet die. „kulturalistische Verkürzung“
des phänomenologischen Ansatzes
(Husserl, Schütz) mit seiner Konzentration auf die
Reproduktion und Erneuerung
kulturellen Wissen, indem es, informiert von Durkheim,
Parsons und Mead, auch
Solidarität und gesellschaftliche Integration, Sozialisation und
persönliche
Identität einschließt.
Gesellschaft (im
engeren Sinne von institutionellen Ordnungen, die Gruppenmitgliedschaften
regeln
und Solidarität sichern) und
Personlichkeit
(sprach- und handlungsfähige Kompetenzen)
(vgl. TKH2: 209). H. begreift diese
als lebensweltliche „Ressourcen“ des kommunikativen
Handeln, welches seinerseits
in einem „Kreisprozeß“ die Strukturen der Lebenswelt reproduziert
(TKH2:
212ff.). Daher kann die Analyse der Lebenswelt auch an verschiedene Aspekte
des
kommunikativen Handelns (Verständigung, Koordinierung, Vergesellschaftung)
anknüpfen.
„Unter dem funktionalen
Aspekt der
Verständigung dient kommunikatives Handeln
der
Tradition und Erneuerung kulturellen Wissens; unter dem
Aspekt der
Handlungskoordinierung
dient es der
sozialen Integration und Herstellung von Solidarität; unter dem
Aspekt der
Sozialisierung dient schließlich
kommunikatives Handeln der Ausbildung
von personalen Identitäten.“ (TKH2: 208 – Hervorh. i. O.)
sich aus ihr
(funktionale)
Systeme heraus,
namentlich
Wirtschaft
(marktregulierte Ökonomie)
und
Politik (moderne
Staatsanstalt). H. argumentiert hier durchaus im Sinne der Parsonsschen
und
Luhmannschen Theorie ausdifferenzierter Funktionssysteme, die er jedoch als
einen Prozeß
soziokultureller Evolution konzipiert, in deren Verlauf symbolische
und materielle gesellschaftliche
Reproduktion sich zu selbständigen, autonomen
Handlungssphären entkoppeln. Die emergente
Konsequenz heißt: entsprachlichte
Kommunikation in den ausdifferenzierten Subsystemen
Wirtschaft und Politik;
Sprache in ihrer Funktion der Handlungskoordination wird durch die
Steuerungsmedien Geld und Macht ersetzt. H.
begreift diesen Vorgang
„als eine Entlastung von Kommunikationsaufwand
und -risiko“ (TKH2: 273) der Lebenswelt, welche für die Koordinierung
dieser
Handlungen nicht mehr benötigt wird. Die partielle Umstellung von kommunikativ
strukturierter
Sozialintegration
auf funktionale
Systemintegration
(ein Begriffspaar, das auf Lockwood zurückgeht) ist in modernen Gesellschaften
irreversibel;
ihr verdanken sie eine Steigerung ihres Komplexitätsniveaus, aber
auch ihre Sozialpathologien (s.u.3.).
formieren sich
in der Lebenswelt als komplementäre, sozial integrierte Handlungsbereiche die
Privatsphäre und
Öffentlichkeit.
Die Austauschbeziehungen zwischen System und Lebenswelt
werden in modernen
Gesellschaften über das Geld- und Machtmedium vornehmlich über vier
soziale
Rollen geregelt: die des Beschäftigten und Konsumenten (Austausch zwischen
Privatsphäre
und Wirtschaft) sowie die des Klienten und Staatsbürgers (Austausch
zwischen Öffentlichkeit
und staatlich-administrativem System) (vgl. TKH2:
471ff.). „Mit den über Medien laufenden
Austauschprozessen entsteht (...) eine
dritte Ebene autonom gewordener funktionaler
Zusammenhänge.“ (PDM: 407)
und funktionaler (systemischer) Rationalisierung bzw.
Modernisierung unterscheidet.
„Rationalisierung der Lebenswelt läßt sich als
sukzessive Freisetzung des im kommunikativen
Handeln angelegten Rationaliätspotentials verstehen.“ (TKH: 232) Erst wenn diese
„ein
entsprechendes Niveau erreicht hat“, können
„neue Ebenen der
Systemdifferenzierung (...) eingerichtet werden“ (TKH2: 267). H. diskutiert
dies
an der Freisetzung der Menschen aus tradierten, vornehmlich religiösen
Weltbildern
(Säkulariserung) und der Auskristalliserirung von Wissenschaft,
Moral und Kunst als
eigenständige Wertsphären sowie an der historischen
Entwicklung zum Universalismus
in
Recht und Moral
und an der Herausbildung von Kommunikationsnetzwerken in Form
von politischer
Öffentlichkeit auf der Basis von
Kommunikationstechnologien
(Schrift, Druckerpresse, elekronische Medien).
Daran knüpft er die Beobachtung,
daß die
ausdifferenzierten Subsysteme sich zwar ihre „eigenen, normfreien, über die
Lebenswelt hinausragenden Sozialstrukturen“ schaffen, diese aber
„über die
Basisinstitutionen des bürgerlichen Rechts mit der kommunikativen Alltagspraxis
rückgekoppelt“ bleiben (TKH2: 275). In „Faktizität und Geltung“ fügt H. das
Recht
gleichsam als Scharnier zwischen Lebenswelt und System ein. Der Rechtscode
vermag
lebenweltliche Ansprüche in für die Teilsysteme verständliche Sprache zu
transformieren.
Das Recht ist das „Medium (...), über das sich kommunikative
Macht in administrative umsetzt“
(FG: 187). Kommunikative Macht versteht H. als
ein aus „zwangloser Kommunikation“ i
n „nicht-deformierten Öffentlichkeiten“ und
„Strukturen unversehrter Intersubjektivität“
hervorgehender gemeinsamer Wille,
der der Erzeugung legitimen Rechts zugrunde liegt
(vgl. FG 182ff.). Bleibt die
politische Öffentlichkeit über ihre zivilgesellschaftliche Basis
in der
Lebenswelt verwurzelt (FG: 435), dann bildet der Rechtsstaat die
gesellschaftsintegrative
Klammer, der das über den Machtcode gesteuerte
administrative System an die rechtsetzende
kommunikative Macht bindet und
überdies die Balance herstellen soll „zwischen den drei
Gewalten der
gesamtgesellschaftlichen Integration: Geld, administrative Macht und
Solidarität“
(FG: 187). Wir können die H.sche Gesellschaftstheorie in einem
vereinfachenden Schaubild
zusammenfassen (vgl. Schaubild 3).
(soziale Integration)
(funktionale Integration)
(Austauschprozesse)
Privatsphäre
Arbeitskraft
Wirtschaft
( Solidarität)
Konsument
( Geld)
politisch-
politisch-
kulturelle
Klient
administratives
Öffentlichkeit
Staatsbürger
System
(Solidarität)
(Macht)
R e c h t
An die Gesellschaftstheorie
schließt sich die Theorie der Moderne an; in ihr verschränken
sich verschiedene
Motive:
(a) Sie erhebt den Anspruch einer Theorie der kapitalistischen
Modernisierung nach dem
Marxschen Vorbild: kritisch sowohl gegenüber den
zeitgenössischen Sozialwissenschaften
wie gegenüber der gesellschaftlichen
Realität (TKH2: 549).
(b) Sie hält an den Intentionen des Kritischen Theorie
fest, ersetzt aber deren Kritik der
instrumentellen Vernunft (wie sie Horkheimer
und Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“
formulierten) durch eine Kritik der
funktionalistischen Vernunft.
(c) Sie ist empirisch gehaltvolle Zeitdiagnose,
indem sie die „Verdinglichungsproblematik“ in der
„Kolonialisierung der
Lebenswelt“ wieder entdeckt; gemeint ist damit, daß auf dem Wege
der Monetarisierung und Bürokratisierung die „losgelassene funktionalistische
Vernunft“
der Teilsysteme auf die Lebenswelt übergreift und deren
„kommunikativen Eigensinn“
zu unterminieren droht.
(d) Sie will das Projekt der
Aufklärung fortsetzen, indem sie in der Moderne nicht nur eine
Steigerung der
Zweck-Mittel-Rationalität konstatiert, sondern auch die der kommunikativen
Rationalität, deren Manifestationen an die traditionsreichen Bestimmungen einer
„vernünftigen Praxis“
erinnern: „das
Selbstbewußtsein kehrt wieder in Gestalt
einer reflexiv gewordenen Kultur,
die
Selbstbestimmung in generalisierten Normen
und Werten, die
Selbstverwirklichung
in
der fortgeschrittenen Individuierung der vergesellschafteten Individuen“
(PDM: 400 – Hervorh. WMJ).
(e) Schließlich identifiert sie in den
basisdemokratischen Bewegungen an den „Nahtstellen
zwischen System und
Lebenswelt“ Ausdrucksformen einer „vernünftigen Moderne“,
die sich gegen die
„systemisch induzierten Lebensweltpathologien“ zur Wehr setzen.
Austin; J.L.: How to Do Things With Words, Oxford 1962
(dt.: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1979)
Habermas, J.: Technik und Wissenschaft als >Ideologie<,
Frankfurt/M. 1968
Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns (TKH),
Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Bd. 2: Zur
Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt/M. 1981
Habermas, J.: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des
kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. 1984
Habermas, J.: Der philosophische Diskurs der Moderne
(PDM), Frankfurt/M. 1985
Habermas, J.: Faktizität und Geltung (FG), Frankfurt/M.
1992
Honneth, A./Joas, H. (Hg.): Kommunikatives Handeln,
Frankfurt/M. 1986
Horster, D.: Jürgen Habermas zur Einführung, Hamburg 1999
McCarthy, T.: Kritik der Verständigungsverhältnisse,
Frankfurt/M. 1989
Reese-Schäfer, W.: Jürgen Habermas, Frankfurt/M. 1991
2.
Hier empfehlen wir das Anschauen des Video-Referates aus dem Projekt
"Kaiser-TV.
Bitte den folgenden Link anklicken:
30.März.2020
Hier sind die Links zu
ORHAN PAMUK, Der Blick aus meinem Fenster
https://www.amazon.de/dp/B01CNP59CS/ref=dp-kindle-redirect?_encoding=UTF8&btkr=1
HARALD WELZER, Die Demokratie – ein Auslaufmodell
https://www.welt.de/welt_print/article2332799/Die-Demokratie-ein-Auslaufmodell.html
PETER HAHNE, Schluss mit lustig
https://www.amazon.de/Schluss-mit-lustig-Ende-Spa%C3%9Fgesellschaft/dp/3501051808
26. März 2020
In dem vor drei Tagen online gestellten Aufsatz
"Orientierung 2017" wird auf den englich-amerikanischen Geschichtsphilosophen
Arnold Toynbee und sein Werk "Gang durch die
WeltgeHier sind dieschichte..."verwiesen. Hier folgt der Link zu der der
deutschen
Kurzfassung des Werkes, das im englisch-sprachigen Original 12 Bände umfasst.
https://www.amazon.de/Gang-Weltgeschichte-Aufstieg-Verfall-Kulturen/dp/3861509571
Unter welchen Bedingungen entsteht eine Hochkultur? Was
führt zu ihrem Untergang? Warum entwickeln einige
Völker Reiche von enormer
Ausstrahlung, während andere in ihrer Entwicklung stagnieren? Gibt es
Gesetzmäßigkeiten
im Aufstieg und Fall der Zivilisationen? Warum scheitern
einige Kulturen in Krisenzeiten, während andere in ihnen
aufblühen? Wo
stehen wir heute im geschichtlichen Prozess? Für den großen Geschichtsforscher
Arnold J. Toynbee
(1889-1975) stand fest: Nicht Staaten und Reiche, sondern
Kulturen, bzw. Gesellschaften sind die bestimmenden
historischen Faktoren.
Jahrzehntelang untersuchte er die Entwicklung der großen Zivilisationen
der Menschheitsgeschichte. Sein Werk markierte
durch die Einbeziehung
außereuropäischer Kulturen eine Abkehr von der eurozentrischen Perspektive und
brachte ihm
den Ruf ein, einer der großen Universalhistoriker in der
Tradition Jacob Burckhardts zu sein.Die großen kulturellen
Entwicklungslinien der Universalgeschichte entstehen laut Toynbee aus der
Dialektik von „Herausforderung und Antwort“.
Wie im Universum Phasen von
Statik und Dynamik, das heißt: Bewegung, Pause und erneute Bewegung, den
Entwicklungs-
prozess bilden, so gelte dies auch für die Prozesse der
menschlichen Geschichte, so Toynbee in seiner magistralen Studie.
Gerade
„Rezessionen fordern den menschlichen Geist zu Innovationen heraus“
(NZZ).Toynbee bezieht auch geografische
Faktoren, die Rolle von religiösen
Bewegungen und ethnischen Minderheiten sowie von kulturellen und technischen
Revolu-
tionen in seine epochemachenden Untersuchungen mit ein, die mehr sind
als ein „beeindruckender Überblick über die
Vergangenheit“ (Die Zeit).
Denn er analysiert auch die zentralen Probleme der Weltordnung nach dem
Zweiten Weltkrieg und liefert damit eine bemerkens-
werte Zeitdiagnose.
Toynbee ist überzeugt davon, dass sich einige Kulturen nur deshalb aufgelöst
haben, weil sie nicht rechtzeitig
genug die notwendigen gesellschaftlichen
Erneuerungen eingeleitet haben. Aus diesen historischen Erkenntnissen können wir
lernen.
Sie können uns helfen, Fehlentwicklungen zu vermeiden und aktuelle
Krisen als Herausforderungen zu verstehen, die zu einer
Weiterentwicklung
führen